Donnerstag, 16. September 2010

Erste Tage







Endlich bin ich da. Nach gut 20 Stunden Zug- und Busfahrt bin ich wohlbehalten und etwas müde in Marijampolė angekommen. Der erste Schock schon auf der Hinfahrt: ich hatte aus Versehen den Autoschlüssel meiner Eltern mitgenommen. Man trifft aber auch interessante Leute auf so einer Reise: einen Bühnenbildner aus Berlin, eine Studentin auf dem Weg nach Australien, eine Gelegenheitsjobberin aus Bulgarien, einen Chemieprofessor aus Oxford… Ein bisschen Melancholie war aber auch dabei, als der Bus nachts so durch Polen gefahren ist, und man noch einmal daran denkt, wen und was man jetzt alles für ein Jahr zurücklässt…
In Marijampolė bin ich herzlich empfangen worden: Anne, eine Sozialarbeiterin aus Deutschland, die in dem Kinderdorf arbeitet, hat mich erstmal in meine Wohnung gebracht. Sehr gemütlich, renoviert, Küche, Bad und ein Wohnzimmer in einem Plattenbau. Die Stadt selber ist überschaubar, viel grün, aber sehr sympathisch. Meine neue Adresse: Matthias Bellmann, Kauno gatvė 48 - 66, 68001 Marijampolė, Litauen/Lietuva. Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr mir mal einen Brief oder eine Postkarte schreiben wollt! (Für Päckchen oder Pakete ist aber eher die Adresse des Kinderdorfes geeignet: Marijampolės vaiko tėviškės namai, Avikilai km, Liudvinavo sen., 69168 Marijampolė, Litauen/Lietuva).
Die ersten Tage sind natürlich noch etwas spontan und chaotisch. Zuerst habe ich Arturas kennengelernt, einen Sozialarbeiter, der auch im Kinderdorf wohnt und den ich in den letzten Tagen oft bei der Hausaufgabenbetreuung und beim Nachmittagsprogramm begleitet habe. Dann wurde ich dem Direktor vorgestellt, ein sehr netter und offener, aber durchaus verantwortungsbewusster Mensch, immer im Anzug. Er wohnt mit seiner Familie in einem Haus neben dem Kinderdorf. Er meint, dass ich super in das Kinderdorf passe, weil ich gern Rad fahre und schwimme und einen Führerschein habe. Ich könne immer sonnabends mit dem Kleinbus des Kinderdorfes und 8 Kindern in die Stadt ins Schwimmbad fahren.
Das Kinderdorf selber ist idyllisch gelegen, in den Häusern leben ungefähr immer 10 Kinder mit einer Pflegemutter. Jedes Haus hat einen Garten, in dem die Kinder auch arbeiten (in den letzten Tagen war Kartoffelernte), es gibt aber auch einen Sportplatz, Basketballkörbe und Spielgeräte. Doch auch wenn das von außen alles ganz nett aussieht, darf man nicht vergessen, dass die Kinder aus schwierigen Verhältnissen stammen. Viele sind hyperaktiv, einige lerneingeschränkt. Am ersten Tag wurde ich auch gleich in alle 14 Häuser geführt, um mich vorzustellen. So viele Kinder auf einmal- ich konnte mir keinen einzigen Namen merken, aber die Kinder, vor allem die jüngeren, haben mich nach anfänglicher Zurückhaltung schon richtig liebgewonnen. Mein Mittagessen bekomme ich übrigens auch immer in einem der Häuser. Das litauische Esse ist sehr lecker, aber abnehmen dürfte hier extrem schwerfallen… :)
Als ich zu Anne ins Büro zurückkam, war sie gerade damit beschäftigt, Bilder auszudrucken. Ich fragte, ob die für die Paten seien. Nein, für die Polizei. Zwei Mädchen sind fortgelaufen. Offenbar ist das auch nicht das erste Mal. Anne ermahnt mich auch, alle Türen immer zuzuschließen und keine Wertsachen irgendwo liegenzulassen, da einige Kinder doch auch gern mal etwas nehmen, was ihnen nicht gehört.
Nachmittags habe ich mit Arturas noch einigen Kindern bei den Hausaufgaben geholfen, in einem Keller haben wir einige verstaubte Kraftsportgeräte entdeckt, die Arturas gern wieder für eine Sportgruppe nutzen möchte. Nach Hause bin ich mit Anne und zwei anderen Mitarbeiterinnen gefahren. Die mussten dann auch erstmal anhalten, um eine Raucherpause zu machen. Im Kinderdorf ist nämlich Rauchverbot. Da das Kinderdorf etwas außerhalb der Stadt liegt, lasse ich mich entweder von anderen Mitarbeitern mitnehmen oder fahre mit dem Bus. Einmal bin ich auch schon per Anhalter gefahren, in Litauen auch sehr beliebt.
So, das reicht vielleicht fürs erste. Ich könnte noch einiges schreiben, aber ich bin auch ganz schön müde von den ersten Tagen…

Sveiki atvykę

Mein Name ist Matthias und arbeitete von 2010 bis 2011 im Kinderdorf "Vaiko Tėviškės Namai" in Marijampolė.

Ich danke der Initiative Christen für Europa e.V. , dem Verein "Kinderdörfer für Litauen e.V.", sowie meinen Freunden und meiner Familie für die Unterstützung während des Dienstes.